Ich fühle mich heute auch ziemlich angestrengt und erschöpft. Die ungewohnte Umgebung und auch der Kontakt mit Menschen, deren Sprache ich nicht verstehe (in meiner palästinensischen Gastfamilie sprechen nicht alle gut Englisch) und eine für mich oft missverständliche Körpersprache verunsichern mich immer wieder. Auch wirken die Menschen auf den Straßen auf mich erst mal „abweisend“ – ein Eindruck, der zwar meist vergeht, sobald ich jemand anspreche und Kontakt aufnehme, der aber doch stetig präsent ist.
Bethlehem wirkt lebendig aber auch etwas verlassen auf mich. Man sieht sehr viele geschlossene Geschäfte rund um die Geburtskirche. Der Tourismus, die Haupteinnahmequelle der Menschen in Bethlehem, ist nach dem Bau der Mauer zwischen Israel und Palästina von 15 Millionen auf 1 Million Besucher im Jahr zurückgegangen.
Der erste Tag unseres Aufenthalts ist geprägt von Gesprächen mit den Verantwortlichen im AEI über ihre Organisation, ihre Pläne, über die zu planenden Workshops zur Gewaltfreien Kommunikation - viel gutem Essen, Gastfreundschaft wird hier groß geschrieben.
Die hervorragende Planung und Organisation von Fuad Giacaman (im Foto ganz hinten am Tisch) und seinen Mitarbeitern ist eine große Unterstützung und so kommen wir in Kontakt mit den unterschiedlichsten Gruppen aus dem Arbeitsbereich des AEI.
Die Probleme hier sind vielfältig und natürlich immer wieder auch Thema in den Gruppen mit denen wir arbeiten. Die Einwohner Bethlehems sind, wenn die Mauer von israelischer Seite aus weitergebaut wird, von drei Seiten von einem 8-10 Meter hohen Wall umgeben sind und auf der vierten, „offenen“ Seite beginnt die Wüste. Die Erlaubnis nach Israel zu fahren erhalten die meisten nicht oder nur wenige Male im Jahr – die christlichen Palästinenser dürfen z.B. zu den hohen Feiertagen die Checkpoints nach Jerusalem passieren. Den Satz „Wir fühlen uns eingesperrt und behandelt als wären wir Tiere“ habe ich bereits mehrmals gehört.
So verwundert es nicht, dass ein Mitarbeiter des AEI meinte, „Viele Menschen hier sind einfach zutiefst hoffnungslos, müde und energielos. Sie sehen keinerlei Perspektive. Es ist eigentlich ein Wunder, dass es nicht noch mehr Unruhen gibt.“Es kostet schon mich sehr viel Energie, mich mit dem Ausmaß an Hoffnungslosigkeit der Menschen hier zu verbinden ohne mich davon überwältigen zu lassen. Dabei habe ich noch die Aussicht, nach wenigen Tagen dank eines kleinen roten Buchs mit ein paar grünen Seiten (mein Reisepass) wieder ausreisen zu können.
Angesichts der scheinbar hoffnungslosen Situation zweifle ich manchmal schmerzhaft an der Sinnhaftigkeit meiner Arbeit - und vor allem an der Intelligenz und dem Mitgefühl der Menschheit. Ich teile diese Trauer eines Morgens auch in einer Anfangsrunde mit den Mitarbeitern des AEI – was eine bewegende und persönliche Runde einleitet zu der Frage, wie wir Hoffnung aufrecht erhalten können, auf welchen Ebenen ein grundlegender Wandel notwendig ist etc.
Nach den ersten Workshops sowohl mit Mitarbeitern des AEI, mit Jugend- und Studentengruppen und mit Frauen im nahen Flüchtlingscamp schöpfe ich jedoch wieder Hoffnung. Das AEI macht eine hervorragende Bildungs- und Jugendarbeit hier und auch wir vier TrainerInnen können, finde ich, wirklich stolz und zufrieden mit uns sein. Auch wenn die Seminareinheiten sehr kurz sind, meist nur 1-2 Stunden mit einer Gruppe, so schaffen wir es doch das Wesentliche rüberzubringen und vor allem auch in Kontakt mit den Menschen und ihren Themen zu kommen. Viele Teilnehmer geben das Feedback, dass sie gerne mehr von der Gewaltfreien Kommunikation hören, lernen und üben möchten.
„I leave peaceprints“ (grob übersetzt “Ich hinterlasse eine Spur des Friedens”) – diesen Autoaufkleber habe ich eines Morgens auf meinem Weg zum AEI entdeckt – und ich finde er passt zu unserer Arbeit hier. „Fußspuren“ (Footprints) an einem Strand sind eine Weile sichtbar und werden dann von denn nächsten Wellen weggespült. Auch wenn unsere Spur des Friedens sehr wahrscheinlich bei der nächsten Konflikteskalation hier von einer Welle der Gewalt wieder verwischt oder ausgelöscht wird – es befriedigt mich zutiefst, es wenigstens versucht zu haben, ein paar neue „peaceprints“ hier in Bethlehem zu hinterlassen.
Bethlehem, 12.9.2007
Markus Sikor
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