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7.1.08

Moral des Altruismus - ein Kommentar von Oliver Heuler

Oliver Heuler , Papa eines "unerzogenen Anarchisten" hat meinen Beitrag "Integral trifft Gewaltfrei" kommentiert.

Da erfahrungsgemäß Kommentare im Blog etwas untergehen bzw. übersehen werden und ich diesen lesenswert finde, stelle ich ihn hier noch mal als extra Beitrag ein. Auf die Bitte von Herrn Heuler möchte ich in einem der nächsten Beiträge eingehen - denn "Was ist eigentlich Gewalt?" ist ja für uns "Gewaltfreie Kommunikatoren" eine nicht ganz unwichtige Frage, oder?

Hier also der Beitrag von Oliver Heuler:

"Ich finde es interessant, dass Rosenberg einerseits so nachdrücklich gegen das Wort »sollte« argumentiert wie auch gegen die Dichotomien gut - schlecht, richtig - falsch, krank - gesund und so weiter — und sich andererseits bewusst ist, dass die Haltung des Nicht-Bewertens selbstwidersprüchlich ist.

Das Wort »sollte« und die Dichotomien sind doch einfach nur Signalwörter, die zeigen, dass man über eine Moral spricht. Klar, wenn ich eine Bitte an einen anderen habe, dann ist es nicht hilfreich, ihm vorab eine Kritik zu servieren (»Dein Verhalten war falsch, schlecht und böse«), sondern mit einer möglichst objektiven Beobachtung zu beginnen.

Aber wir können nicht auf eine Moral und damit Hierarchien verzichten: Gewaltfrei kommunizieren ist z.B. besser als morden. Man unterhält sich ja auch bisweilen über allgemeine Prinzipien. Ich habe also keine Bitte an einen Menschen, sondern unterhalte mich nur über allgemeine Fragen der Ethik. Was spricht gegen die Aussage: »Man sollte einfühlsam sein« oder »Man soll nicht stehlen, morden und so weiter« oder »Ich finde es gut, wenn die Menschen gegen den Krieg demonstrieren.« Ist das so viel anders als »Wenn ich sehe, wie diese Menschen gegen den Krieg demonstrieren, macht mich das glücklich, weil mein Bedürfnis nach Frieden und Harmonie befriedigt ist«?

Könnte es sein, dass Rosenberg einfach nur gegen die christliche Ethik allergisch ist, weil die Moral des Altruismus eben gerade nicht dazu führt, dass die Menschen Konflikte schnell lösen können und glücklich werden, sondern diese Moral eher ein Dominanz-Instrument ist? Warum die Moral des Altruismus so problematisch ist, habe ich hier länger ausgeführt: http://www.heuler.de/freiwillig

Hinzu kommt, dass uns diese Moral meist mit der Schuld- und Schamkeule eingeimpft wird, was Rosenberg auch zurecht ablehnt.
Könnte es also sein, dass er das Kind (Ethik) mit dem Badewasser (Altruismus und die Art der Indoktrinierung dieser Moral) ausgeschüttet hat?
Warum nicht einfach die Ethik umdefinieren, sodass sie das Wohlbefinden unter den Menschen steigert und gewaltfrei ist, z.B.: Die Freiheit eines jeden hat als logische Grenzen die Freiheit der anderen. Man müsste Freiheit dann noch genauer definieren, z.B. als Abwesenheit von Gewalt und Zwang. Was wiederum erfordert, dass wir Gewalt genauer definieren.* Aber diese Definitionen wären ja zu finden.
Diese neue Ethik könnte dann auch anders vermittelt werden, eben auch gewaltfrei und ohne Zwang.

Was spräche dann dagegen, diese Dichotomien und das Wort »sollte« wieder zuzulassen?

Gruß Oliver Heuler
Das wäre meine Bitte an Sie, Herr Sikor: Könnten Sie mal Gewalt definieren?"

2 Kommentare:

U.Hoffmann hat gesagt…

Christliche Moral – eine Moral des Altruismus?
Kommentar zum Kommentar von Oliver Heuler

Zunächst zum Gebrauch des Wortes „sollen“: Ich denke, hier muss der Kontext beachtet werden, in dem Rosenberg davon abrät, das Wort „sollen“ zu gebrauchen. Es geht dabei zunächst einmal um die gewaltfreie Kommunikation im engeren Sinne, d.h. den einzelnen Akt der Kommunikation. Hier geht Rosenberg zum einen ganz pragmatisch vor: Das Wort „sollen“ ist im heutigen Sprachgebrauch so negativ belegt und wird automatisch mit irgendeiner Art von Zwang oder etwas Unangenehmem in Verbindung gebracht, dass es kontraproduktiv ist. Und das nicht nur, wenn ich mit einem anderen spreche, sondern auch in der Kommunikation mit mir selbst.

Ein zweiter Aspekt ist der, dass jemand, der das Wort „sollen“ gegenüber einem anderen gebraucht, sich automatisch über diesen stellt und dessen Handeln moralisch beurteilt. Sie weisen zu Recht darauf hin, Herr Heuler, dass moralisches Urteilen, also das Unterscheiden zwischen gut und böse, unverzichtbar ist. Menschen, die sich der gewaltfreien Kommunikation bedienen, haben bereits im Vorfeld eine moralische Grundentscheidung getroffen, und tun dies auch immer wieder. Nur: Wenn wir uns mit der Methode der gewaltfreien Kommunikation einem anderen im Gespräch zuwenden, dann haben wir zum Ziel, uns empathisch in den anderen einzufühlen, d.h. eine Verbindung zu ihm herzustellen. Moralische Urteile aber verbinden nicht, sondern trennen uns vom anderen. Hierauf zielt m.E. auch das immer wieder gern gebrachte Zitat von Rumi ab. (Wer ist das eigentlich?)

Ich sage hier bewusst „Methode“, um klarzustellen, dass es um eine ganz bestimmte Gesprächssituation geht, für die ich mich frei entscheide, dass ich aber nicht pausenlos „GfK“ rede (um Gottes Willen! ;-))), sondern auch manchmal einfach mit anderen ratsche, herumblödele, irgendwelche Probleme oder Fälle löse oder z.B. theoretische Diskussionen führe, wie jetzt gerade mit Ihnen. Und da haben Fragen der Ethik und der Moral natürlich auch ihren Raum.

Der gewaltfreien Kommunikation (den Begriff finde ich übrigens sehr irreführend, wenig konstruktiv und für viele sogar abschreckend; treffender wäre „empathische Kommunikation“) im engeren Sinne liegt eine Haltung der GfK im weiteren Sinne zugrunde, die ich als Haltung der liebevollen Aufmerksamkeit bezeichnen möchte. Es geht dabei darum, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse und auch Bewertungen und Glaubenssätze wahrzunehmen und sich ihrer bewusst zu werden. Diese Gefühle etc. moralisch zu beurteilen ist sinnlos, denn für meine Gefühle und Bedürfnisse, für meine unwillkürlich vorgenommenen Bewertungen und mir frei im Kopf umherschwirrenden Glaubenssätze kann ich nichts; moralisch bewerten kann ich jedoch nur etwas, dem eine freie Willensentscheidung zugrunde liegt. Das heißt aber nicht, dass ich gar nicht bewerte, sondern, worauf Markus Sikor in seinem Blog schon hingewiesen hat, ich bewerte selbstverständlich, ob meine Gefühle angenehm oder unangenehm sind und ob meine Bedürfnisse erfüllt oder unerfüllt sind – das sind aber keine moralischen Urteile. In einem weiteren Schritt entscheide ich mich dann für eine bestimmte Strategie, um das erkannte unerfüllte Bedürfnis zu befriedigen. Hierbei sind wiederum jede Menge Bewertungen erforderlich – und diese Entscheidung ist dann als bewusste und gewollte Entscheidung auch einer moralischen Bewertung zugänglich. Nur verzichtet Rosenberg hier auf die bekannten Worte „gut“ und „böse“, um nicht wieder in altbekannte Denk- und Verhaltensmuster zurückzufallen, sondern stellt darauf ab, ob etwas dem Leben dient oder nicht. Das ist aber nichts anderes als das, wofür die Begriffe „gut“ und „böse“ eigentlich stehen.

Und hier komme ich auf Ihre Bemerkung zurück, Herr Heuler: „Könnte es sein, dass Rosenberg einfach nur gegen die christliche Ethik allergisch ist, weil die Moral des Altruismus eben gerade nicht dazu führt, dass die Menschen Konflikte schnell lösen können und glücklich werden, sondern diese Moral eher ein Dominanz-Instrument ist?“ Nein, auch wenn Rosenberg immer wieder gerne Seitenhiebe gegen die Kirchen austeilt, bin ich überzeugt, dass Rosenberg nicht gegen die christliche Ethik allergisch ist, ganz im Gegenteil: Die christliche Ethik kann nicht so ohne Weiteres mit „Moral des Altruismus“ in ihrer radikalen Form, so wie Sie sie in Ihrem Artikel beschreiben, gleichgesetzt werden. Es ist zwar sicherlich so, dass die christliche Ethik bei vielen Menschen so ankommt und daran sind die Kirchen und viele ihrer Vertreter über die Jahrhunderte nicht ganz unbeteiligt. Allerdings muss hier klar unterschieden werden zwischen der Rezeption einer Lehre und der Lehre selbst. Im Neuen Testament wird als oberstes Gebot nicht gesagt, du sollst jeden anderen mehr lieben als dich selbst, sondern: „Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und mit all deinen Gedanken und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst.“ Das heißt, die Selbstliebe und die Nächstenliebe müssen in einem ausgeglichenen Verhältnis stehen – nichts anderes also als das, was man in der GfK-Sprache den „Giraffentanz“ nennt. Das Zitat stammt übrigens schon aus dem Alten Testament, das Christentum steht hier also ganz in der jüdischen Tradition (Lukas 10,27, Matthäus 22,37-40 und Markus 12,30-31 unter Verweis auf die Bücher Deuteronomium 6,5 und Levitikus 19,18 im Alten Testament). Rosenberg als Jude ist selbst fest in dieser Tradition verwurzelt. Und auch sein Kriterium „gut ist, was dem Leben dient“, stammt aus der Bibel: Im Lukasevangelium sagt Jesus nach dem erwähnten Gebot zu dem Gesetzeslehrer, der ihm die Frage gestellt hat: „Tu dies und du wirst leben!“

Braucht es da wirklich eine neue Ethik oder eine Umdefinition? Ich denke, nein. Mir reicht die vorhandene – es kommt nur auf die entsprechende Auslegung und Anwendung an.

Herzliche Grüße Ulrike Hoffmann

Markus Sikor hat gesagt…

Hallo Ulrike,
vielen Dank für deinen anregenden Kommentar! Ich stimme dir zu, wenn du schreibst, dass es in der christlichen Ethik (auch) eine sehr ausgewogene Sichtweise zu "Selbst-Liebe" und "Liebe-zum-Anderen" gibt. Es kommt, wie du schreibst, natürlich auf die Interpretation an - ein freikirchlicher Geistlicher, den ich schätze, sagte mal zu mir: "Weißt du, wenn die Kirchenmitglieder zu mir sagen "Aber das steht doch in der Bibel" - dann antworte ich: Es steht ALLES in der Bibel, es kommt halt drauf an, wie du es verstehen willst!"
Wir kommen also nicht drum herum, die Intention (Haltung, Bewusstsein) des Interpretierenden zu berücksichtigen, wenn über die "christliche Ehtik" gesprochen wird. Rosenbergs Haltung dazu ist eine sehr umfassende - wie du schreibst - und gleichzeitig denke ich, dass er mit seinen Aussagen zwar nicht "rebellieren" möchte, sehr wohl aber "radikal" (im nicht-verletzenden Sinne) sein möchte.