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20.2.06

Notizen vom 1. Training Gewaltfreie Kommunikation in La Paz / Bolivien (ms)

Drei Mal hatte ich dieses und letztes Jahr die Gelegenheit, in La Paz, Bolivien, eine Einführung in die Gewaltfreie Kommunikation und Mediation zu geben. Durch das Engagement von Regine Lübben-Chambi, Projektkoordinatorin des Deutschen Entwicklungsdienst in La Paz konnten ca. 30 MitarbeiterInnen aus Organisationen der Entwicklungshilfe die "Giraffenwelt" kennen lernen und ausprobieren. Für mich war dies eine neue Herausforderung, die ich gerne mit Euch teilen möchte: Hier ein paar Auszüge aus meinem Tagebuch...

La Paz, 23.9.05
"Seit ich in La Paz angekommen bin, werde ich zunehmend angespannt und ich frage mich woran das liegt. Die Begrüßung von Regine und ihrem bolivianischen Ehemann Marcelo war überaus herzlich und ich fühlte mich bei ihnen und ihren drei Kindern schnell heimisch… Meine Gedanken kreisen viel um die Erzählungen zur alltäglichen Gewalt in Bolivien. Die sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede und die daraus folgenden Spannungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen sind groß und täglich präsent. Viele Menschen scheinen auf und von der Straße zu leben. Es ist üblich, dass sich bspw. der Unmut der Bürger in tagelangen Straßenblockaden und -kämpfen entlädt. Irene und Burkhardt, die mich im Seminar als Übersetzer unterstützen, berichten von einer Schießerei gegenüber ihrem Grundstück - scheinbar ging es um unklare Eigentumsverhältnisse. Ich habe weniger Angst um meine persönliche Sicherheit, aber ich merke, dass ich mich oft frage, was ich diesen Menschen hier überhaupt geben kann. Ich, der ich aus einem behüteten, sicheren Land komme, soll diesen Menschen hier etwas Sinnvolles für ihre brennenden Probleme anbieten können? Auf den Straßen verkaufen Menschen in ärmlichster Kleidung ein paar Früchte, und ich will hier ein Seminar über Kommunikationsprobleme abhalten? Es gibt wohl wichtigere Dinge…

La Paz 25.9.05
Ich brauche viel Selbstempathie und bekomme diese auch per Telefon von meiner Partnerin um wieder in Kontakt zu kommen mit meinen Bedürfnissen, hier etwas Sinnvolles zu tun…
Die Art der Arbeit im Seminar unterscheidet sich doch erheblich von meinen bisherigen Trainings in Deutschland. Die TeilnehmerInnen sind es wenig gewohnt, zu persönlichen Themen zu arbeiten. Es geht sehr häufig um politische und gesellschaftliche Themen. Die Frage ist oft "Wie kann man der gesellschaftlichen Gewalt begegnen?".
Den TeilnehmerInnen leuchtet jedoch die Vorgehensweise der GFK (vom "inneren zum äußeren Frieden") sehr ein und so arbeiten sie engagiert an ihren "Wolfsurteilen" und an Konfliktthemen aus ihrem Alltag…
Eine Teilnehmerin aus dem Bürgermeisteramt möchte ein Rollenspiel machen zu einem Thema, dass sie sehr beschäftigt. Sie muss in einer Strasse in La Paz den Marktfrauen klar machen, dass sie in eine andere Gegend ziehen müssen. Die Marktfrauen sind darauf hin in ihr Büro im Rathaus eingedrungen, haben lautstark protestiert und sie persönlich bedroht ("Wir zerschneiden Dir das Gesicht"). Ich höre ihr erst einmal lange zu und sie erzählt unter welchem Druck sie steht (was ihr anzusehen ist). Die Empathie tut ihr sichtlich gut und gleichzeitig fehlt ihr natürlich jede weitere Unterstützung auf ihrem Posten. Im Rollenspiel spielt sie eine der Marktfrauen und erzählt nachher, dass sie sich stark mit der absoluten Frustration und Verzweiflung dieser Frauen verbinden konnte. Für diese Frauen ist Gewalt(-androhung), wie für viele BolivianerInnen, einfach die bekannteste (und oft auch erfolgreiche) Strategie um überhaupt auf ihre Probleme aufmerksam zu machen.

La Paz 28.9.05
Es wird sehr deutlich, dass Gewalt in Bolivien ein kollektives Thema mit jahrhundertelanger Geschichte ist - und dass sich diese Geschichte nicht in 5 Tagen ändern oder verarbeiten lässt. Gleichzeitig sehen die TeilnehmerInnen in der Haltung der GFK eine echte Möglichkeit, zum gewaltfreien sozialen Wandel in Bolivien beizutragen... Nach fünf intensiven Tagen erzählen viele, wie bewegt sie von der Vision der GFK seien. Ich bin tief berührt von der Begeisterung und den Rückmeldungen z.B von Donato, dem ehemaligen Erziehungsminister, der vorhat die Idee der GFK in seine Vorlesungen an der Universität einfließen zu lassen, z.B. von Miguel, Vertreter der SOS-Kinderdörfer in Bolivien, der die GFK dort einführen möchte "und natürlich in meinem Familienleben", z.B. von Ferran, Sozialarbeiter im Jugendknast, der "unbedingt die Mitarbeiter dort zu Giraffen machen möchte, ..."

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